Der stolze Lohner aus Amasya

By In Integration

Ali Yilmaz gehört zur zweiten Generation der Türken in Lohne. Er engagiert sich für die Integration seiner Landsleute, arbeitet in der Lokalpolitik mit und ist erfolgreicher Unternehmer. Er fordert von den Deutschen, dass sie mehr auf Ausländer zugehen. „Integration ist keine Einbahnstraße“.

Als Ali Yilmaz an einem Herbstabend des Jahres 2011 nach Hause spaziert, möchte er vor Freude in die Luft springen und jeden umarmen, der ihm über den Weg läuft. Vor wenigen Stunden haben ihn die Lohnerinnen und Lohner für die CDU in den Stadtrat gewählt, als ersten türkischstämmigen Politiker überhaupt. Er kann es bis heute kaum glauben, dass er es als Sohn einfacher Torfarbeiter zum Ratsmitglied und zum erfolgreichen Unternehmer bringen konnte.


Schon als Kleinkind kam der 1969 geborene Ali Yilmaz mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Sein Vater hatte in der Fernsehfabrik Metz im Großraum Nürnberg Arbeit gefunden. Der kleine Ali ging in den Kindergarten und lernte die deutsche Sprache. Und er verlernte türkisch. Das gefiel seinen Eltern nicht. „Sie glaubten, dass sie in wenigen Jahren wieder in die Türkei zurückkehren“, erklärt Yilmaz.

Für die Schule zurück in die Türkei


Also schickten sie den Jungen zum Beginn seiner Schulzeit zurück in die Türkei. Dort lebte er bei seinen Großeltern – und verlernte die deutsche Sprache wieder. Vielen Kindern der so genannten Gastarbeiter ging es so. Sie gehörten weder in die Türkei, noch waren sie richtig in Deutschland angekommen. Als Ali zwölf Jahre alt wurde, holten ihn die Eltern nach Deutschland zurück.

Harte Maloche im Moor
Die ersten „Gastarbeiter“ in Lohne kamen nach Auskunft von Heimatforscher Benno Dräger in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre aus Italien, um im Lohner Moor zu arbeiten. Für die Bekleidungsfirma Solida wurden im Jahr 1962 Schneiderinnen und Näherinnen in Spanien angeworben. 1969 folgten Näherinnen aus Jugoslawien, die laut Dräger heute in Lohne verheiratet sind. Zur größten Gruppe der so genannten Gastarbeiter gehörten aber die Türken, die von 1966 an auch nach Lohne kamen. Die meisten von ihnen waren als Arbeiter im Moor beschäftigt. Daran erinnert auch die Skulptur mit zwei Moorarbeitern im Lohner Stadtpark, die der Künstler Bernd Maro im Jahr 2020 installiert hat.

Sie hatten es jetzt nicht mehr so eilig mit einer Rückkehr nach Amasya, denn sie hatten eine einträgliche wenn auch harte Arbeit in Lohne gefunden: als Arbeiter im Moor des Torfwerks Holthaus. Ab und an durfte Ali mit raus ins Moor und helfen. „Das war ein Knochenjob“, erinnert er sich. Der Vorteil an der Arbeit war jedoch: Es wurde nach Akkord bezahlt. Wer viel schaffte, verdiente viel. Nach acht Monaten konnten die Torfarbeiter stempeln gehen, also sich arbeitslos melden. Dann kehrten sie im Winter für vier Monate in die alte Heimat zurück. Dort erzählten sie den Nachbarn und Freunden von der lukrativen Arbeit. So heuerten immer mehr Menschen aus Amasya bei den Lohner Torfwerken an.

Inzwischen leben rund 400 Familien mit Wurzeln in der türkischen Großstadt im Landkreis Vechta, weiß Yilmaz. Auch die meisten der 1100 in Lohne lebenden Türken kommen von dort.

Sport bringt Nationalitäten zusammen


Als ihnen klar war, dass sie bleiben werden, überlegten sie, wie sie sich integrieren könnten. Mit Sport! Mit 42 anderen Türken gründet Ali Yilmaz im Jahr 1993 einen Sportverein. Und wie sollte der anders heißen als: Amasyaspor. Bei Amasyaspor wird Fußball gespielt. Die Türken bleiben nicht lange unter sich. Es spielen Deutsche und Menschen aus vielen anderen Nationen in den Teams von Amasyaspor mit. „Der Verein ist eine Brücke zwischen Zuwanderern und Einheimischen“, beschreibt es Yilmaz.

Und er ist gewissermaßen einer der Brückenpfeiler. Vom Platzwart bis zum Vorsitzenden hat er bei Amasyaspor so ziemlich jedes Amt inne. Mitgespielt hat er auch, nachdem er in der Jugend schon in Kroge und in Brockdorf erfolgreich gekickt hatte.

Schilder aller Art: Ali Yilmaz, hier mit Tochter Ünzile Yilmaz (rechts) und Mitarbeiterin Jaqueline Häbel, hat sich nach einer
Schlosserlehre und 21 Jahren als Schichtleiter in einer Kunststofffirma selbstständig gemacht.


Beruflich gesehen startet Ali Yilmaz später durch. Er macht zunächst eine Schlosserlehre und arbeitet 21 Jahre lang als Schichtleiter in einem Kunststoffbetrieb. Dann macht er sich mit seiner Frau selbstständig. Sie bedrucken T-Shirts in der Garage – mit großem Erfolg. Schließlich wird daraus ein Werbetechnik-Unternehmen mit neun Mitarbeitern. Yilmaz und seine Leute bedrucken Verkehrsschilder, Werbetafeln, Geschirr, Gläser, und die in den Jahren 2020 und 2021 besonders gefragten Mund-Nasenschutz-Masken.


Vor einigen Jahren hat Yilmaz – als wenn das nicht genug wäre – noch eine Gaststätte mit Saalbetrieb und Hotel in Kroge gekauft und umgebaut.

„Egal wo wir herkommen. Wir sind alles Lohner.“

Ali Yilmaz

Ali Yilmaz besitzt zwei Pässe: den deutschen und den türkischen. Und so fühlt er sich auch. Als Deutscher und als Türke. Das ist kein Problem, sagt er. Manchmal träumt er auf Türkisch, manchmal auf Deutsch. „Kommt drauf an, mit wem ich im Traum zu tun habe“, sagt Yilmaz. Seine Kinder, die seien Deutsche und fühlten sich auch als solche, sagt der Vater. Sie gehörten zu der Generation, die endgültig angekommen sei in Deutschland. Er hofft, dass die jetzigen Zuwanderer nicht so lange benötigen. „Integration ist keine Einbahnstraße“, findet Yilmaz. „Wir dürfen den Menschen nicht das Gefühl geben, Ausländer zu sein“, appelliert er an die Deutschen. So fordert er ein Wahlrecht für alle Nicht-Deutschen, die schon lange in diesem Land leben – zumindest für die Kommunalwahl. „Egal wo wir herkommen, wir sind schließlich alles Lohner“, sagt Ali Yilmaz. „Wir sind stolze Lohner.“

Freuen sich im Jahr 2020 über die Moorarbeiter-Skulptur im Lohner Stadtpark (von links): Kerstin Sommer (Runder Tisch für Integration und Völkerverständigung), Ahmet Önder (Amasyaspor Lohne), Bürgermeister Tobias Gerdesmeyer, Ali und Canan Boydak (beide Amasyaspor Lohne), der
Künstler Bernd Maro, Ratsherr Dr. Lutz Neubauer, Ali Yilmaz (Amasyaspor Lohne) und Benno Dräger (Heimatverein und Industrie Museum Lohne).

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