Das traurigste Schützenfest seines Lebens

Franz Wilke: Der König

By In Schützen

Franz Wilke war als junger Mann Lohner Schützenkönig. Sein Goldendes Jubiläum fiel der Corona-Pandemie zum Opfer. Ausgerechnet. Denn kaum ein Zweiter steht so sehr für das in Lohne mit Abstand größte Fest des Jahres.

Der weißhaarige Mann steht in einer grauen Jacke mit vielen Orden an der Brust und grünem Hut auf dem Kopf unter den Lindenbäumen und zeigt mit dem Finger in alle Richtungen. Von links kommt die Kutsche, rechts dreht sich das Kinderkarussell. Früher gab es vorne, wo jetzt das Stadion ist, Himbeerlimonade für die Kinder. Tausende Menschen tummeln sich einmal am zweiten Wochenende im Juli an diesem Ort. Normalerweise. An einem Sommernachmittag des Jahres 2020 steht Franz Wilke allein auf dem Lohner Schützenplatz. Vor 50 Jahren ist er mit der Königskette um den Hals in einer Kutsche vorgefahren. Neben ihm saß seine Frau Heidi im knallig bunten Kleid, so bunt, dass
man heute froh ist, dass es Farbfotos davon gibt, nur um sagen zu können: „Was hatten die damals für verrückte Kleider an.“ Alle Schützen jubelten den beiden zu. Der damals mit Abstand jüngste Regent überhaupt mit gerade einmal 27 Jahren war er, stattlich, gepflegt und bewundert. Dafür wollte er sich in dieser Woche feiern lassen. Doch gefeiert wird nicht. Das Schützenfest fällt wegen Corona aus.


„Das schmerzt“, sagt Wilke. Besonders auf den Empfang im Rathaus beim Bürgermeister, bei dem auch Jubiläumskönige eingeladen sind, hat sich der 77-Jährige gefreut, wie er sagt. Einmal noch einen Tusch auf sein Wohl, einmal noch im Rampenlicht stehen. Einmal noch das Gefühl wie vor 50 Jahren. Wenigstens ein bisschen davon. Aber das gibt es, wenn überhaupt, ein Jahr später.

„Das schmerzt“

Franz Wilke über das ausgefallene Jubiläumsschützenfest 2020

Dass das Schützenfest ausgerechnet jetzt ausfallen muss… Wobei es Franz Wilke wohl in jedem Jahr weh getan hätte, nicht zu feiern. Er lebt das Fest wie kaum ein zweiter. Er war Schützenkönig, er war Adjutant und schließlich sogar Generalfeldmarschall. Seine Schützenuniform ist von Orden übersät. „Das sind nur die wichtigsten“, sagt er. „Die anderen habe ich zu Hause in der Schublade.“

Zu Hause, das ist das ehemalige Hotel Wilke an der Brinkstraße. Dort wuchs Franz Wilke auf. Der Zweite Weltkrieg war vorbei. In den Hotelzimmern, aus denen damals noch die Ofenrohre aus dem Fenster ragten, wohnten etliche Flüchtlinge. Sein Vater Georg kehrte 1945 vom Flughafen Vechta, wo er Funker war, nach Hause zurück. Seine Mutter starb1948. So war Franz Wilke viel allein, wuchs behütet von Matilde Runte auf. „Mein Vater war der traurigste Mensch der Welt“, erinnert er sich. Er schleppte die traumatischen Erlebnisse des Krieges mit sich herum und litt unter dem Tod seiner Frau. Nur wenn das Schützenfest nahte,
dann blühte er auf.

Himbeerbrause aus dem Bottich

Georg Wilke gehörte damals mit Franz Buschmann und Stadtdirektor Clemens Becker zu denjenigen, die den Verein nach dem Krieg wieder gründeten. Im Jahr 1950 erlaubte die britische Besatzungsmacht, die ihr Hauptquartier ebenfalls im Hotel Wilke hatte, das erste Schützenfest. Franz Wilke stand da kurz vor der Einschulung. „Wir sind mit breiter Brust marschiert“, erzählt er. Auf dem Schützenplatz gab es zur Belohnung Himbeerbrause aus Hektoliter großen Bottichen in denen Eisklumpen von Bierverlag Dehlwisch schwammen.


Er erinnert sich, dass die 12. Kompanie in der Kneipe der Eltern tagte. Und wer nicht mitfeiern wollte, um den hat sich sein Vater gekümmert. Er rief bei einem Schützenbruder an, der auf Norderney Urlaub machte und schimpfte, wo er denn bleibe. „Ein paar Stunden später saß der Mann im Kompanielokal“, erinnert sich Wilke. Einen anderer hatte einfach keine Lust zum Feiern. „Den hat mein Vater in den Keller eingesperrt.“ Doch die Gefangenschaft war nach wenigen Minuten wieder vorbei. Der Eingesperrte hatte im Keller den Bierhahn zugedreht.

Schütze zu sein, das ist für Franz Wilke eine Lebensaufgabe. Schon als Kind träumte er davon, König zu werden. Die Kinderkönigswürde entging ihm einmal denkbar knapp. Er wurde Zweiter. Das Fahrrad, das es als Preis gab, bekam ein anderer.

„Das gehört sich nicht.“

Franz Wilke mag es nicht, wenn Schützen nicht ordentlich angezogen sind.

Die Lehrzeit in Schloss Wilkinghege bei Münster war hart für den Koch-Azubi – zu weit weg von Lohne. „Wenn ich nur einen Tag nicht den Turm von St. Getrud sehe, bekomme ich Heimweh“, gibt Wilke zu. Im Schloss, in der die Germania Brauerei den Gastronomie-Nachwuchs für ihre Vertragsgaststätten ausbildete, hat Franz Wilke das Benehmen gelernt. Etwas, das ihm heute noch am Herzen liegt. „Ich mag es nicht, wenn Schützen nicht ordentlich angezogen zum Umzug erscheinen. Das gehört sich nicht.“ Er sei zwar Kneipen-Milieu geschädigt. Aber bei den Schützen gehörten eben ein Mindestmaß an Benehmen und Disziplin dazu. „Niemand möchte auf Fotos und im Fernsehen Bier-trinkende Schützen in Umzug sehen“, begründet Wilke.


In den 1960er Jahren wuchs der Schützenverein auf rund 800 Mitglieder an. Im Jahr 1969 betrat der erste Mensch den Mond und Franz Buschmann, damals Vorsitzender der Schützen, betrat das Hotel Wilke und machte Franz einen Vorschlag, zu dem er einfach nicht Nein sagen konnte. „Wie wäre es, wenn du dich nächstes Jahr um die Königswürde bewirbst“, fragte der Vorsitzende den damals erst 27-Jährigen. Franz Wilke sagte selbstverständlich Ja.

Könige und ihre Scheidungen

„Wenn du auf den Schützenplatz fährst und ein ganzes Regiment steht stramm, ist das schon ein tolles Gefühl“, erinnert sich der Jubiläumskönig. Das Königsjahr 1970: Es war Franz Wilkes schönstes Schützenfest – trotz aller Folgen, die es haben sollte. Nur ein Jahr später ließen sich Wilke und seine erste Ehefrau Heidi scheiden. Ein Schicksal, das noch viele weitere Königspaare ereilen sollte. „Aber ich habe damit angefangen“, betont Franz
Wilke und lacht.


Nach dem Königsjahr ging die Karriere im Schützenverein für ihn erst so richtig los. Er wurde Adjutant und durfte in der Funktion Orden über Orden hat sich Franz Wilke im Laufe der Jahre verdient. Der Königsorden hängt standesgemäß in der Mitte. hoch zu Ross den König zum Schützenplatz begleiten. Extra dafür hatte er Jahre vorher schon Reitunterricht genommen. Später wurde Franz Wilke sogar General. Sein Onkel hatte ihm als Kind
schon vorgeschwärmt: „Wenn du die weiße Jacke anhast, dann drehen sich die Frauen nach dir um.“ Das hat er genossen.


Im Jahr 2011 hat er sich von seinen Ämtern zurückgezogen und ist seitdem wieder einfacher Schütze. Diszipliniert, wie er es in der Ausbildung gelernt hat, ist er seiner Aufgabe nachgekommen. Steinhäger und Bier gab es für ihn erst, wenn der König am Schützenfestmontag heile auf dem Schützenplatz angekommen ist.

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Aber sein Engagement beschränkte sich nicht nur auf die Schützen, auch als Feuerwehrmann war er aktiv und brachte es bis zum Stadtbrandmeister. „Ich wollte meiner Stadt etwas zurückgeben“, sagt er. Vor einigen Jahren hat er auch das Hotel Wilke mangels Nachfolger geschlossen. Stattdessen widmet er sich dem Sichten und Sortieren alter Hobby-Aufnahmen von den vielen Schützenfesten, die er selbst mitgemacht hat. Sie trösteten ihn kaum darüber
hinweg, dass er im Corona-Jahr 2020 die schönsten Tage des Jahres nicht unter den Lindenbäumen vor dem Festzelt, sondern auf dem Balkon verbracht hat. Es war vermutlich das traurigste Schützenfest seines Lebens.

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